Schneewittchen und der Heilige

GTÜ Classic erinnert an den Volvo P1800.

(Fotos: Volvo)

Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Volvo P 1800.

Roger Moore verliebt sich in seinen Filmpartner

Alle Schweden sind blond. Und robust und zuverlässig. Aber auch zeitlos elegant? Es erwies sich jedenfalls als cleverer Schachzug, dem Gentleman und Abenteurer Simon Templar einen polarweißen Partner aus dem hohen Norden an die Seite zu stellen. „The Saint“, der Heilige, lautete in den 60er Jahren der Originaltitel der britischen TV-Krimiserie, in der Templar alias Roger Moore für Gerechtigkeit sorgte. Auf seinen blonden, schwedischen Partner war dabei immer Verlass: den Volvo P1800. Und während sich Moore in 118 Episoden, die in mehr als 70 Ländern über den Bildschirm flimmerten, für seine Paraderolle als 007 warmspielte, reifte der Volvo zum Kult-Car. Selbst Moore war von seinem Reisegebleiter so begeistert, dass er ihn vom Set weg kaufte und trotzdem noch vor der Kamera einsetzte. Er war ja auch zum Verlieben. Selbst Hakan Samuelsson, bis 2022 Volvo-Präsident, hat heute noch einen.

Alles Roger, und den Rest macht der Volvo

Die Eleganz holt sich der Volvo in Italien

Alter Schwede, wie bist du in Top-Form! Pelle Peterson, der beim renommierten Carrozziero Pietro Frua in Italien seinen Sinn für Schönheit schärfte, hatte die Hülle bereits 1957 entworfen. Einer der optischen Höhepunkte waren die sportlich dezenten Heckflossen, gegen die US-amerikanische Straßenkreuzer wie Bulldozer aussahen. Aber mit diesem Körper ließ sich das Beste aus verschiedenen Ländern harmonisch zusammenfügen, was die Emotionen für ein Auto in den oberen Drehzahlbereich treibt: schwedische Zuverlässigkeit, italienische Eleganz und die aufregenden Fahreigenschaften eines britischen Roadsters. Der Erfolg war im Grunde programmiert, der Start allerdings eher holprig.

Vor den Skandinavienkrimis kam die Sportwagenliebe

Der Sportwagen braucht noch Feinschliff

Im Jahr 1961, als der P1800 bei Jensen Motors in West Bromwich vom Montageband lief, war das außergewöhnliche Coupé mit dem Aggregat des Volvo Amazon ausgestattet: ein Vier-Zylinder-Reihenmotor, Vergaser, 1,8 Liter. Seine 90 PS (66 kW) beförderten ihn in die Klasse der Sportwagen. Aber die Verarbeitung, besonders die der ersten 250 Fahrzeuge, war so lausig, dass die Volvos nicht gleich auf die Straße durften, sondern zur Auffrischung erst ins Werk nach Göteborg gebracht werden mussten. Die Sache mit den Nacharbeiten schauten sich die Schweden nicht lange an und holten die gesamte Montage 1963 nach Hause. Der Ruf musste wieder hergestellt werden, weshalb das scharfe Coupé künftig P1800 S hieß – „S“ für produziert in Schweden.

Selbst der Porsche muss sich strecken

Sechs PS packten die Hausherren gleich auch noch drauf, womit das sportliche Coupé den Sprint von null auf 100 in 12,1 Sekunden schaffte. Da musste sich selbst ein Porsche 356 gewaltig strecken. An diesem Auto stimmte ziemlich viel, weshalb ihm im Lauf der Jahre lediglich einige technische Feinheiten verordnet wurden, die sich äußert positiv auf die Leistung auswirkten. Bereits ab 1968 füllte die schnittige Frontpartie ein völlig neuer Zwei-Liter-Motor mit 105 PS (77 kW), schon ein Jahr später wurde das Aggregat mit einer Einspritzanlage veredelt. Der P1800 E kam auf 124 PS (91 kW).

Die Geburt des Schneewittchen-Sargs

Damit ist die Geschichte im Grunde erzählt, hätten die Schweden mit ihrem neu entdeckten Faible für ungewöhnliches Design nicht noch einmal nachgelegt. Im August 1971 feierte die Kombi-Version des Sportwagens als P 1800 ES ihre Premiere. Die Heckklappe mit der riesigen Glasscheibe hatte man zuvor noch nie gesehen. Die Auto-Ästheten verneigten sich tief und gaben dem Kombi den bis heute gültigen Spitznamen „Schneewittchensarg“. Das Fahrzeug war ja auch irgendwie märchenhaft. Auf seiner Schweizer Internet-Seite fragt der Hersteller heute noch: Ist er der schönste Volvo aller Zeiten? In den USA zumindest war der Schneewittchensarg auch ein Verkaufserfolg. Insgesamt wurden zwischen 1961 und 1973 rund 40.000 P1800 gebaut, dazu kamen in den letzten Jahren noch rund 8000 Kombi-Varianten.

Wenn Automärchen wahr werden: Der Schneewittchensarg

5,2 Millionen Kilometer auf dem Tacho

Wer die guten alten Zeiten wieder in Bewegung setzen möchte, wird durchaus fündig. Die Preise auf dem Classic-Markt für einen P1800 schwanken allerdings gewaltig und liegen je nach Zustand zwischen 10.000 Euro und weit über 60.000 Euro. Wer investieren möchte, muss sich auch von aufgerufenen Laufleistungen jenseits der 250.000 Kilometer nicht unbedingt abschrecken lassen. Der Lehrer Irv Gordon kaufte im Juli 1966 im US-Bundesstaat New York seinen neuen – roten – P1800 S, um täglich die rund 200 Kilometer zur Arbeit bequem zurücklegen zu können. Er verbrachte auch sonst viel Zeit hinterm Steuer. Als er im November 2018 starb, gab es seinen Volvo immer noch. Mit Originalmotor. Er hatte 5,2 Millionen Kilometer auf dem Tacho und seinen ersten Durchhalte-Weltrekord schon Jahre hinter sich. Schweden sind eben robust. Aber doch nicht immer blond.

Die Corvette des kleinen Mannes

Opel trumpft Ende der 60er Jahre mit einem Sportwagen auf.

Allein dieses Orange ist ein Traum: Opel GT in Hausfarben (Fotos: Opel)

Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Sportwagen Opel GT.

Guter Geschmack aus Rüsselsheim

Für einen Designer muss es das Größte sein: Alle Konventionen über Bord werfen, sich einen Dreck um die geltenden Regeln scheren. Einfach mal machen, was man will. Und der Vorstand hat keine Ahnung davon. Passiert so etwas bei Opel, kommt das einer Kulturrevolution im Hause Biedermeier gleich. Der Aufstand des guten Geschmacks geht vom hauseigenen Styling Studio aus, das Anfang der 60er Jahre eingerichtet wurde. Es war das erste Designcenter eines europäischen Automobilherstellers überhaupt.

Heimlich, schnell und weise

Erhard Schnell und seine Crew waren hochmotiviert und schnitzten mit Plastilin an einem Sportwagen für jedermann. Ohne offiziellen Auftrag. Als das Concept-Car „Experimental GT“ seine finalen Konturen erhalten hatte, wurde es höchste Zeit für eine umfassende Beichte. Zum Glück waren die Vorstandsherren hellauf begeistert. Und so staunten auf der IAA 1965 Experten und Autonarren über dieses Fahrzeug mit den ungewohnt scharfen Kurven. Aber alle waren sich einig: Das Auto baut Opel nie.

Damals hieß es noch Stil, nicht Style: Blick ins Designstudio

Was für ein Slogan: Nur fliegen ist schöner!

Falsch gedacht. 1968 lief der erste Opel GT vom Band, auch weil ihn die Aura der Kreativität, in der alles erlaubt und alles möglich ist, von der ersten Idee an nicht mehr verlassen hatte. Das betraf nicht nur den Sportwagen selbst, sondern auch seine Begleitumstände. Da war der Werbeslogan, der heute als geflügeltes Wort gilt: „Nur Fliegen ist schöner.“ Und da war der offizielle Werbespot, der so frech mit den Nachteilen des GT spielte, wie sich das heute kein Autobauer mehr mit einem seiner Modelle trauen würde: ein beleibter Herr mittleren Alters versucht vergeblich in die flache Flunder einzusteigen. Ur-komisch und noch heute ein Youtube-Klassiker.

Für den Fahrer ist es ein Liegewagen

In der Tat war der GT nur 1,22 Meter hoch, und obwohl die obere Türkante bis weit ins Dach hineinreichte, war das Einsteigen schwieriger als das Fahren in der halbliegenden Sitzposition. Aber wen sollte das abhalten? Es gibt viele Merkmale, die den GT zu einem begehrenswerten Fahrzeug machten: Die geschwungenen Kotflügel. Die versteckten Scheinwerfer, die nicht aufgeklappt, sondern per Hebel rausgedreht wurden. Die runde bullige Seitenansicht und die scharfe Abrisskante am Heck, die auch bei hohen Geschwindigkeiten für ausreichend Abtrieb sorgte. Die vier runden Heckleuchten. Das sportliche Interieur mit Drei-Speichen-Lenkrad und Rundinstrumenten. Dazu kamen die kurzen Schaltwege, die die Kraft des Viergang-Getriebes an die Hinterachse übertrugen. Ein echter Zwei-Sitzer ohne Kofferraum.

Die Kraft der zwei Motoren

Im Bochumer Opel-Werk warteten Getriebe, Achsen und Motor auf die aus Frankreich stammende Karosserie. Eigentlich waren es zwei Motoren. Den GT gab es mit dem 1,1-Liter Reihenmotor aus dem Opel Kadett B mit 60 PS. Ausserdem im Angebot ein aus Platzgründen leicht modifizierter 1,9 Liter-CIH-Motor aus dem Opel Rekord C, der 90 PS leistete. Die Basis-Version fand aber wenig Anklang und wurde bald eingestellt. Schließlich hieß der Opel-Sportler wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Stingray des Mutterkonzerns GM auch die „Corvette des kleinen Mannes“.

Ein Vorbild in Sachen Sicherheit

Die Basisversion kostete nur rund 10.000 Deutsche Mark. Das war wirklich nicht viel für einen Sportwagen, der nicht nur auf sein Äußeres achtete, sondern auch mit seinen inneren Werten glänzte. Mit vielen Maßnahmen – wie zum Beispiel Drei-Punkt-Sicherheitsgurten oder Überroll- und Seitenaufprallschutz – setzte der GT in Bezug auf die Sicherheit für seine Zeit Maßstäbe.

Auch das mit der Sicherheit sieht gut aus

Über 100.000 mal gebaut

Nur aus dem ursprünglich geplanten Cabrio wurde nichts. Der 1969 vorgestellte Aero GT blieb eine Studie. Dem Erfolg des Opel GT konnte das nicht schaden. In nur fünf Produktionsjahren wurden über 103.000 Opel GT gebaut, die Hälfte der Fahrzeuge landete in den USA. Dann wechselten die französischen Blechschneider den Besitzer und mussten fortan Renault beliefern. Und in den USA änderten sich die Sicherheitsvorschriften, die Anpassung wäre viel zu teuer gewesen. Der Opel GT wurde ein Opfer der Umstände.

Der Pionier aus Japan

Der Honda S800 war der erste Volltreffer aus Japan.

Die fernöstliche Heimat sieht man ihm kaum an, der Honda könnte auch aus Italien stammen (Fotos: Honda)

Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Honda S800.

Ein Neuling mit reichlich Klasse

Japanische Autos? Mitten unter uns? Anfang der 60er Jahre schien schon der Gedanke daran völlig absurd. Die Begegnung mit einem solchen Exoten auf unseren Straßen war so wahrscheinlich wie der Kontakt mit Außerirdischen. Motorräder von Honda, ja, an die hatte man sich gewöhnt. Umso größer war die Überraschung, als Honda 1966 auf dem Pariser Automobilsalon seinen ziemlich sportlichen S800 präsentierte. Schon mit ihrem ersten Aufschlag auf dem europäischen Markt landeten die japanischen Automobilbauer einen Volltreffer. Mit dem Coupé, das stark an den Fiat 850 Spyder erinnerte, wurde das Cabriolet gleich mit vorgestellt. Je länger die Experten den ersten Japaner für den europäischen Markt unter die Lupe nahmen, desto überzeugter waren sie: Das Auto hatte Klasse. Man musste es ernst nehmen.

Hier können sich auch moderne Cabriolets noch etwas in Sachen Chic abgucken

Von zwei auf vier Räder

Die Japaner waren weniger überrascht über den freundlichen Empfang. Als Motorradhersteller hatte Honda ja reichlich Erfahrung mit kleinen Motoren, die über hohe Drehzahlen eine respektable Leistung auf die Straße brachten. Um rund um die Leistung noch mehr Erfahrung zu sammeln, engagierte sich Honda schon 1964 in der Formel 1 und gewann bereits ein Jahr später den ersten Grand Prix. Irgendwie logisch, dass das Unternehmen bald auch Autos bauen würde. Die ersten Modelle für den heimischen Markt ähnelten rein äußerlich schon sehr dem späteren S800, schickten aber ihre Kraft noch mittels einer Kette an die Hinterachse. Beim S800 war das anders. Die Kraftübermittlung verantwortete eine stabile Kardanwelle und der Vierzylinder mit 781 cm3 Hubraum verdiente allen Respekt. Das Aggregat war zwar nicht wirklich innovativ, aber mit einer Technik ausgestattet, die erstens sehr klug eingesetzt und zweitens mit Teilen versehen wurde, die man bisher nur von Motoren wesentlich teurerer Fahrzeuge kannte. Ein starkes Argument für den Honda, der als Cabrio oder als Coupé 7.750 Deutsche Mark kostete.

Aufgeräumt und stilsicher zugleich: die Kraftmesser des Drehzahlkönigs

Ein Drehzahlkönig wird geboren

Um das Platzangebot in der Frontpartie optimal nutzen zu können, war der wassergekühlte Hochleistungsmotor aus Aluminiumguss vorn längs und 45 Grad nach links um die Längsachse geneigt. Für die Lagerung der Kurbelwelle sowie für die Pleuellager benutzte Honda ausschließlich Nadellager. Das garantierte kleinere Reibungsverluste und hielt die Schmier- und Kühlprobleme in Grenzen. Dass der Honda nicht heiß lief, war auch besser. Eigentlich war der Motor als Langhuber ausgelegt. Und die fühlen sich bekanntlich im unteren Drehzahlbereich am wohlsten. Aber der Honda drehte – die DNA des Motorradherstellers – nahezu grenzenlos. Seine rund 67 PS (50 kW) erreichte der S800 bei 7.750 Umdrehungen pro Minute.

Härter als der Prüfstand

Er soll dabei noch relativ ruhig, souverän und auch auf Dauer zuverlässig geblieben sein. Mit hohen Drehzahlen ist das ja so eine Sache. Sie verlängern die Lebensdauer eines Motors nicht gerade. Und sie regen den Durst an. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 110 km/h schluckte das gerade mal 755 Kilogramm schwere Coupé acht Liter Super plus. Die Drehzahlen regten auch die Fantasie an. Der Legende nach sollen die Ingenieure der Technischen Hochschule Braunschweig dem Honda einem Härtetest unterzogen haben. Und tatsächlich: Bei 12.000 Umdrehungen war Schluss. Allerdings soll damals nicht der Motor, sondern der Prüfstand aufgegeben haben.

Rot ist auch in Japan eine Farbe der Autoliebe

Augen auf: Der S800 besitzt Seltenheitswert

Schöne Geschichten, von denen nicht mehr übriggeblieben ist. Zwischen 1965 und 1970 wurden 3.785 Cabrios und 7.738 Coupés des Dreh-Wunders gebaut, 1200 davon in Deutschland verkauft. Gut 200 der Fahrzeuge gibt es noch, nicht alle sind fahrbereit. Die Chance, auf deutschen Straßen noch einem S800 zu begegnen streben also gegen Null. Auch auf dem Classic Markt herrscht nicht gerade ein Überangebot. Wer die alte Drehfreude made in Japan genießen möchte, muss wieder zurück zum Ursprung – und aufs Motorrad umsteigen.

Selten, und daher immer bestaunt: der S 800