Sie gibt den Ton an – und er das Tempo

Die perfekte Rollenverteilung im Rallye-Auto von Kilian Nierenz und Milena Raithel

Auf den ersten Blick, die klassische Rollenverteilung: Mann am Steuer, Frau auf dem Beifahrersitz. Doch wer genauer hinguckt und hinhört, erkennt bei Milena Raithel und Kilian Nierenz sofort den Unterschied, denn sie sagt, wo es langgeht. Die Arbeitsteilung des Paares aus Oberfranken ist klar geregelt, zumindest solange sie zusammen im Rallye-Auto sitzen: Er holt das Beste aus dem Wagen heraus – und sie das Beste aus ihm. Fahrer und Beifahrer beim Querfeldeinsport, das ist eine echte Schicksalsgemeinschaft. Volle Konzentration, jeder macht sein Ding, aber am Ende funktioniert alles nur im Zusammenspiel. Er lenkt, sie lenkt ihn.

Probefahrt zu Zweit

Das Team Nierenz/Raithel funktioniert ziemlich gut. In diesem Jahr fahren die beiden einen Corsa Rally Electric im internationalen ADAC Opel Electric Rally Cup, liegen nach drei Meisterschaftsläufen in der Gesamtwertung auf dem dritten Platz. Sie sind damit derzeit die besten deutschen Starter. Nicht schlecht für ein Duo, das erst seit drei Jahren zusammen an den Start geht – auf den Wertungsprüfungen und im richtigen Leben. Milena Raithel hat erstmal an der Seite eines anderen Piloten ausprobiert, ob Beifahren etwas für sie ist, Kilian Nierenz hatte schon früh Ambitionen, Rallye auf nationaler und internationaler Ebene zu fahren. Wie der erste gemeinsame Auftritt verlief? „Es war ziemlich spannend, mit Kilian mal im Rennmodus zu fahren“, erinnert sie sich. Der abgerissene Unterfahrschutz? Offensichtlich ein gutes Omen.

Feste Rollen im Cockpit

Jedenfalls hatte sich sofort das gegenseitige Vertrauen eingestellt, und das ist das Wichtigste, wenn es um sportliche Extremsituationen geht. Unisono sagen die beiden: „Wir verstehen uns blind“, sagen sie unisono. Und, dass die Partnerschaft außerhalb des Autos ein großer Vorteil sei, da das Grundvertrauen jenseits der Wertungsprüfungen ja schon da ist. Selbst wenn sich die Beifahrerin mal eine der – seltenen – kleinen Unsicherheiten leistet bei den Ansagen vor der nächsten Kurve, dann hört das Pilot Nierenz schon an der Stimme, und handelt entsprechend vorsichtiger. Rallyefahren hat immer viel mit Gefühl zu tun. Lachend sagt sie, dass er mehr meckert, als es Beifahrerinnen immer nachgesagt wird, und er fügt mit einem Schmunzeln hinzu, dass sie besser darin sei, Dinge wegzustecken. Gemeinsam beteuern sie: „Wir haben auch beim Sport enormen Spaß zusammen.“

Mit Vertrauen durch jede Kurve

Wenn sich einer auf den anderen verlassen kann, dann wird auch nicht viel diskutiert. Gibt es trotzdem Gesprächsbedarf, dann klären es die beiden sofort, und nix aus dem Schalensitz wird mit nach Hause auf die Couch genommen. Die Rollen tauschen, das können sich beide nicht vorstellen. Er sagt, dass er ein schlechter Beifahrer wäre, Sie sagt, dass sie gern nebendran sitzt: „Ich organisiere gern, und das ist bei einer Rallye das A und O. Außerdem hat Kilian das größere Talent am Steuer, und schließlich wollen wir uns ja immer verbessern und nicht verschlechtern.“ Echtes Teamwork, das auch gut für die Beziehung ist: „Wir teilen so viel miteinander und können zusammen etwas erreichen, was ohne den anderen gar nicht möglich wäre.“

Warum gerade Querfeldein?

Motorsport bestimmt auch sonst das Leben der beiden, beim Automobilslalom oder Sim-Racing. Aber die große Faszination, das ist die Rallye. Wer so durch Kurven driften kann, unbekanntes Gelände mit wechselndem Terrain entdecken und erobern kann, den muss die Rundstrecke natürlich langweilen. „Ich mag es, dass wir gleich beim ersten Versuch die richtige Linie finden müssen und nicht 50 mal um die gleiche Piste fahren“, sagt Kilian Nierenz. Als der 27-Jährige davon spricht, dass Rallyefahren viel mit Abenteuer zu tun hat, nickt seine 23 Jahre alte Partnerin.

Eine Frage des Respekts

Gemeinsam lässt sich auch der Druck lindern – oder der Antrieb steigern. „Du musst immer voll und ganz da sein. Kilian arbeitet am Steuer, ich mit meinem Kopf“, sagt die Co-Pilotin über Anspruch und Belastung des gemeinsamen Tuns. Der Druck ist größer geworden, jetzt, wo sie auf europäischer Ebene starten. Angst haben darf man in diesem Sport grundsätzlich nicht, aber leichtsinnig darf auch keiner werden. „Wir nennen es Respekt vor der Aufgabe“ sagen die beiden Oberfranken. Sicher durchkommen und nichts kaputtmachen, das ist die Basis. Alles, was darüber liegt, ist der eigentliche Sport – die Jagd nach der Bestzeit. Rallyefahren mit einem Elektroauto, das gehorcht eigenen Gesetzen. Der Schwerpunkt des Opel liegt maximal tief, das Auto ist schwer – und ist in den Kurven trotzdem schneller als ein Verbrenner.

Die GTÜ geht mit an den Start

Möglich gemacht werden die Auftritte des Teams Nierenz/Raithel auch durch die GTÜ-Prüfstelle Selbitz, denn auf diesem Niveau braucht es nicht nur Können und Nerven, sondern auch Sponsoren. Gute Beziehungen zu Ingenieuren können bei Motorsportlern auch nicht schaden, für die Prüforganisation wiederum ist es schön, wenn das Logo an der Strecke und auch im TV zu sehen ist. Wenn es mit dem geplanten Sprung in die Deutsche Rallye-Meisterschaft klappt, dann braucht es nochmal mehr Unterstützter, Spitzenteams brauchen dort einen mittleren sechsstelligen Betrag. „Wir wollen da reinwachsen“, sagen die beiden über ihr großes sportliches Ziel. Rallyefahren ist für sie längst mehr als ein Hobby. Eine Beziehungskiste im besten Wortsinn.

Der große Autofotograf Dietmar Henneka ist tot

Ein Geschichtenerzähler mit der Kamera

Foto: Familie

Was sagt das über jemand, wenn er als streitbar galt? Im Falle von Dietmar Henneka, einem der erfolgreichsten Werbe-, Auto- und Daimler-Fotografen Deutschlands ist das eindeutig ein Kompliment. Denn wie kaum ein anderer Lichtbildner hat er stets die Auseinandersetzung gesucht, mit seiner Kreativität, seiner Arbeit, mit Autos und mit den Menschen. Am 9. Juni ist die prägende Persönlichkeit unserer Branche im Alter von 83 Jahren gestorben.

Mittelmaß war ihm ein Gräuel

Der Mann hinter der Kamera war selbst ein Star, vom Verband der Berufsfotografen (BFF) so beschrieben:  Berühmt und berüchtigt. Genial und laut. Gefragt und vielfach geehrt. Jedes seiner Projekte, schrieben die Kollegen voller Ehrfurcht, sei ein persönlicher Feldzug gegen Mittelmaß und Beliebigkeit gewesen. Er selbst nannte sein Tun gern „Hennekrafie“.

Mit Steve Jobs auf der Autobahn

Zahllose Fotografen, die bei ihm in die Lehre gingen, setzen heute selbst Autos in Szene. Dietmar Henneka hat so aus seinem Atelier in der Mörikestraße heraus Stuttgart zu einer Metropole der anspruchsvollen Fotografie gemacht. Ein strenger Mentor, aber auch ein unkonventioneller. Legendär die Geschichte, als er mit Steve Jobs nachts über die Autobahn bretterte, um dem Apple-Gründer ein Gefühl für die Geschwindigkeit zu vermitteln. Der Mann war immer in Bewegung, gedanklich oder wortwörtlich.

Genießer und Globetrotter

Der Art Directors Club nennt ihn bewundernd ein „Kampfross der Kreativen“, um dann feinfühlig zu loben: „Keiner machte perfektere Bilder, erzählte bessere visuelle Geschichten – ob mit der Großbildkamera oder später dem iPhone.“ Ein genialer Geschichtenerzähler, Vernetzer, Menschenfreund, Genießer, Globetrotter, Qualitätsfanatiker, Konzeptioner, Bildermacher sei er gewesen, geprägt von einer kompromisslosen Haltung und absolutem Gestaltungswillen.

Großes fotografisches Erbe

Der Heimat Baden-Württemberg war der gebürtige Elsäßer stets verbunden, nicht nur wegen der Liebe zum Bodensee. Auf der eigenen Webseite umschrieb er seinen Werdegang fast lapidar: „1973 Start in die Selbstständigkeit als Allerweltsfotograf, 1974 Besinnung auf Design und Stils, standesgemäßer Rauswurf aller Kunden. Karrierestart mit WEGA-Kampagne, Heirat, damit Entscheidung für Familie und Stuttgart, ciao Milano/Paris/London. Von da an ging’s bergauf.“ Auszeichnungen: „Unbescheidenerweise ziemlich viele.“ Weshalb die Stuttgarter Zeitung gern hinzufügt: „Dietmar Henneka hinterlässt ein beeindruckendes Erbe in der Welt der Fotografie.“

Jozef Kaban – der Mann, der ŠKODA modern machte

Die Blog-Serie zu den berühmtesten Automobildesignern, Teil drei.

© Skoda

Sie bestimmen das Aussehen unserer Autos, und damit auch das, was wir im Alltag sehen oder fahren. Aber die Gesichter der Designer selbst bleiben in der Regel im Verborgenen. Stille Künstler. Dabei verbergen sich dahinter selbst echte Typen. In dieser Serie stellen wir einige der angesehensten Fahrzeugschöpfer vor. Diesmal: Jozef Kaban, der revolutionär bei Škoda wirkte und inzwischen Elektro-Automobile für MG gestaltet.

Menschen machen Autos unverwechselbar

Die erste Inspiration des Tages, da muss Jozef Kaban nicht lange nachdenken: „Das waren all‘ die unterschiedlichen Menschen, die ich heute morgen getroffen haben.“ Als er das sagt, sitzt er noch in der Design-Villa auf dem Škoda-Werksgelände in Mladá Boleslav und blinzelt ins Sonnenlicht. Gut, dass er sich dann für das Gespräch doch leicht zur Seite neigt, denn seine Augen erzählen immer mit. Es scheint, als ob er sich jeden Satz selbst plastisch macht. Jozef Kaban spricht an diesem Tag lange und gern über das, was ihn inspiriert. Vor allem über die Inspirationen, die er in Tschechien gefunden hat. Sie dienten dazu, den Automobilen von Škoda eine Unverwechselbarkeit zu verleihen und den Sprung von der Ostblock-Marke zur ansprechenden Marke im Volkswagen-Konzern zu werden:Eine wichtige Inspiration ist für mich, dass man sich gut überlegt, wie weit eine Marke die Menschen prägt, und wie Menschen die Marke prägen.

© Skoda

Ein Weltenbummler des Autodesigns

Škoda markiert die Mitte seiner bisherigen Karriere. Zuvor hatte Kaban Automobile für Audi und Bugatti gestaltet, danach bei BMW und Rolls Royce, heute ist er bei der Traditionsmarke MG. Der Mann mag so zum Weltenbummler in Sachen Design geworden sein, aber Herkunft besitzt für ihn immer Zukunft. Denn: „Es ist wichtig, dass man um seine Heimat weiß. Dieses Wissen gibt einem die Möglichkeit, sich freier zu entfalten – weil man immer diesen sicheren Hafen im Hinterkopf hat.“ So, wie sich Tschechien in den letzten Jahren entwickelt hat, machte auch Škoda einen Sprung nach vorn, dem damaligen Werbeslogan entsprechend: Simply clever.

Kombination von Emotion und Funktion

Das entspricht auch der Mentalität des 1973 in der Slowakei geborenen Kaban, der weiß: „Die Menschen hier sind begeistert von Technologie, sie lieben aber genauso das Familiäre. Diese Bindung ist kein Zufall, Funktion und Emotion gehören zusammen. Das sind auch meine Werte.“ Und die seiner Autos, die sich durch viele praktische Details auszeichneten und schon früh die Connectivity als wichtiges Merkmal besaßen, ob Octavia, Superb oder Kodiaq. An Studien für die Elektromobilität hat er schon früh im letzten Jahrzehnt gearbeitet.

Liebe macht den Designer blind

Wie Designer zu ihren Entwürfen kommen, ist häufig Geheimsache. Jozef Kaban aber gibt gern einen Einblick in seinen Schaffensprozess: „Es gibt nicht nur den einen Weg zum künftigen Modell. Wir haben zwar anfangs eine Vorstellung davon, wie der gestalterische Prozess verlaufen könnte. Aber dennoch muss sich alles entwickeln. Man sollte nicht sofort das nachbauen, das einem als Erstes in den Kopf gekommen ist.“ Denn: „Sonst verpasst man die Chance, es vielleicht noch besser zu machen. Die Richtung muss klar, aber die Wege dahin sollten auch breit sein. Es ist wie ein Marathon – nur dass ich am Anfang noch nicht weiß, wie lang die Strecke tatsächlich ist.“ Merksatz: „Man darf sich nicht verlieben in eine Skizze – der Verliebte ist oft blind.“

© Skoda

Warum Autos eine Seele haben

Dem Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Bratislava folgte der Master of Art in Fahrzeugdesign am Royal Collage of Art in London. Schon früh manifestierte sich der tiefe emotionale Ansatz bei Jozef Kaban: „Jede Sache braucht eine Seele, zumindest jede Sache, die etwas bedeuten soll. Deshalb muss man den Autos eine Seele geben. Wir umgeben uns doch gern mit Sachen, die eine Ausstrahlung besitzen.“ Für ihn ist dabei klar: „Es muss ein Design sein, das vom Menschen inspiriert ist, nicht von der Maschine. Wenn etwas ein Antlitz hat, wird man es anders wahrnehmen, anders behandeln. Man muss den Menschen mit dem Auto einen Raum geben, weiter zu träumen.  Es gibt keine Uniformität im Leben und im Design.“

Ein Auto ist kein Weihnachtsbaum

Was sich an seiner eigenen Vita zeigt. Von Skoda ging es zunächst auf den Chefposten bei BMW, dann weiter zu Rolls-Royce und anschließend zurück zu Volkswagen. Im April 2024 dann folgte ein noch größerer Sprung, um die alte britische Marke MG im Auftrag der chinesischen SAIC Motor Corporation fähig für das Elektro-Zeitalter zu machen. Egal ob E-Sportwagen oder E-SUV, Jozef Kabans gestalterische Grundsätze bleiben klar: „Ich möchte Autos nicht dekorieren, sie sind doch kein Weihnachtsbaum. Ich sehe sie eher wie eine nackte Schönheit. Jedes Detail beim Auto ist mitverantwortlich für den Gesamteindruck der Figur. Wenn bei Torten die Form nicht ausreicht, werden sie verzuckert. Aber ich versuche, die richtige Form zu schaffen. Eine, die keine Glasur braucht.“